Entstehungsgeschichte des gemeinschaftlichen Wohnprojekts rund um die Alte Mälzerei Lichtenrade
Anonymität und Vereinzelung tun der menschlichen Seele nicht gut. Davon überzeugt, fand eine zunächst kleine Gruppe von überwiegend älteren Menschen in Lichtenrade, ob in einem Mietshaus oder in eigenem Haus mit Garten lebend, im Januar 2017 zum ersten Mal zusammen. Der „Wohntisch Lichtenrade“ war geboren und traf sich mindestens einmal im Monat im Raum des Aktiven Zentrums in der Prinzessinnenstraße. Von Anfang an war unser Blick auf das Gelände der Alten Mälzerei gerichtet, denn hier sollte etwas Neues beginnen:
Die Alte Mälzerei Lichtenrade, ein Industriegebäude von 1898, nahe am S-Bahnhof gelegen, schlief seit Jahrzehnten einen tiefen Dornröschenschlaf. Als ein Investor sie kaufen wollte, um dort ein Einkaufszentrum zu errichten, war die Ökumenische Umweltgruppe Lichtenrade alarmiert. Dieser Plan hätte den Niedergang der Bahnhofstraße besiegelt, für die es doch gerade gelungen war, im Rahmen eines Integrierten Stadtentwicklungskonzepts (ISEK) eine bessere Aufenthaltsqualität zu bewirken. Zum Glück konnte dieser Kauf dank der Aktivierung der Bürgerschaft und des Bezirks verhindert werden.
2016 kauften Thomas Bestgen und Jutta Grünewald die Alte Mälzerei. Sie erkundigten sich in allen aktiven Gruppen von Lichtenrade, was denn hier fehle im Stadtteil. Ein Workshop zu diesen Fragen sollte richtungsweisend sein. Er fand statt im Oktober 2016 in dem großen und ungeheizten Raum der Alten Mälzerei, wo später, nach der Restaurierung des denkmalgeschützten Gebäudes die Bibliothek einziehen konnte.
Die Idee für ein generationenverbindendes, gemeinschaftliches und nachhaltiges Wohnprojekt stieß bei dem sozial und nachhaltig ambitionierten Eigentümer und Projektentwickler auf offene Ohren und von Anfang an waren beim Wohntisch nicht nur ein Vertreter vom Netzwerk Generationenwohnen dabei, sondern auch eine Mitarbeiterin von Herrn Bestgens UTB Projektmanagment GmbH, Frau Dancke, um uns und die Zusammenarbeit zu unterstützen.
Nachdem es Herrn Bestgen gelungen war, auch die Grundstücke um die Alte Mälzerei zu erwerben, das Landhaus vor dem Zerfall zu retten und einen Bebauungsplan beim Bezirk einzureichen, war endgültig klar, dass unser Traum von einem generationenverbindenden und nachhaltigen Wohnprojekt hier im „Lichtenrader Revier“ verwirklicht werden sollte.
Eine Zeit des intensiven Nachdenkens und Austauschs darüber, wie denn nun diese zukünftige Gemeinschaft im Einzelnen zu gestalten sei, begann.
Von Anfang an war klar, dass es einen Gemeinschaftsraum geben sollte für Begegnungen und Veranstaltungen der Menschen, die hier leben und einen lebendigen Ort für Lichtenrade
entwickeln würden. Als zusätzlicher Gemeinschaftsraum wurde uns sogar eine kleine Sauna für die Bewohner*innen in Aussicht gestellt.
Der anfängliche Plan, die Wohnungen unter dem Dach einer Genossenschaft zu bauen, musste aus finanziellen Gründen aufgegeben werden. Dafür gelang es der UTB, dass über die Hälfte der Wohnungen gefördert wurden, also an einen WBS gebunden sind. Aber auch für die freifinanzierten Wohnungen wurde eine einkommensabhängige Staffelung der Miete eingeführt. Ein sozial durchmischtes Quartier konnte nun entwickelt werden.
Die passenden Interessierten mit den passenden Wohnungen zusammenzubringen wurde uns zur Aufgabe gemacht. Einführungsveranstaltungen, vertiefende Gespräche und Willkommenstreffen dienten und dienen bis heute der Integration in die zukünftige Nachbarschaft und Gemeinschaft.
Mit der wachsenden Anzahl der Menschen am Wohntisch wurde es immer dringender, uns eine Struktur zu geben, und Ende 2022 gründeten wir zunächst mit 35 Mitgliedern den Verein „Lichtenrader ReWIR e.V.“. In unserer Satzung verankerten wir, dass die Menschen, die sich in verschiedenen Arbeitskreisen engagieren, ein Mitspracherecht bei allen wichtigen Entscheidungen haben, das sie über den „Leitungskreis“ wahrnehmen.
Die Zusammenarbeit mit der UTB wurde in allen Gremien des Vereins verankert: gemeinsame Sitzungen des Vorstands und des Leitungskreises mit Frau Dancke sowie später auch mit Frau Sattar von der Verwaltung, bei Bedarf auch mit einzelnen Arbeitskreisen, finden statt.
Nun, im April 2024, da die Einzüge in das erste der vier Häuser bevorstehen, sind bereits hundert Menschen dem Verein beigetreten und bringen damit zum Ausdruck, dass sie die Ziele des gemeinschaftlichen Wohnens unterstützen wollen. Wir sind guter Hoffnung, dass alle, die in diesem urbanen, gemischten und besonderen Wohnquartier leben werden, nach ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten ihren Beitrag zum Gelingen leisten werden.
Und die alten Gründungsmitglieder des Wohntischs freuen sich über die vielen jungen Menschen, Familien und Kinder, die inzwischen mit dabei sind.
Margrit Schmidt, April 2024